KI im Lerncoaching? Wie kann das gehen? Diese Frage kam kurz nach Veröffentlichung des Lerncoaching-Manifests auf. Denn darin heißt es: „KI setzen wir im Lerncoaching verantwortungsvoll ein“.
Zur Erklärung wollte ich einen Artikel mit einigen Erfahrungen verfassen, merkte aber schnell, dass er unendlich lang geworden wäre. Daher wird daraus nun eine kleine Serie.
Beginnen wir mit einem immer relevanten Thema im (Lern)Coaching, der Glaubenssatzarbeit.
Beliefs sind Dauerbrenner im LernCoaching
Ich würde behaupten, alle Coaches haben irgendwann mit dem Thema Beliefs bzw. Glaubenssätze zu tun.
Es handelt sich dabei um generalisierte Erfahrungen, manchmal - vor allem wenn sie mit starker Emotion verbunden sind - reicht eine einzige. Oft werden sie bereits in der Kindheit entwickelt und können uns bis in das hohe Erwachsenenalter begleiten. Beispiel. "ich bin nicht so der Zahlenmensch!". Es gibt unterstützende und hinderliche Beliefs. Mit letzteren haben wir es meist im Coaching zu tun.
Da sie oft tief verankert sind, sind sie auf kognitiver Ebene nicht einfach aufzulösen. Als Coaches können wir auf ein breites Repertoire an Veränderungsmöglichkeiten zurückgreifen, und zugleich können wir es um KI basierte Methoden erweitern.
Hier drei Beispiele.
Mit KI-generierten Videos hinderliche Glaubenssätze bedeutungsloser machen
Ich konnte vor einigen Wochen mit einem 35-jährigen Coachee experimentieren, nennen wir ihn Thomas. U.a. hat er die wenig hilfreiche Überzeugung im Kopf „ich bin intellektuell zu langsam für viele Anforderungen im Arbeitsleben“ (natürlich haben wir auch an Strategien etc. gearbeitet, hier soll es nur um die Glaubenssatz-Arbeit gehen).
Wie stark glaubt er an den Belief und wo fühlt er ihn?
Ich habe ihn den Satz noch einmal klar formulieren lassen und ihn nach seiner Überzeugungsstärke gefragt (sie lag bei 8 von 10). Außerdem wollte ich wissen, wo und wie er dies im Körper fühlt. Er beschreibt es als ein flaues Gefühl im oberen Bauchraum.
Externalisieren, indem KI-Personen den Satz formulieren
Dann haben wir den Satz bei einer KI (D-ID.com) eingegeben und von mehreren virtuellen Personen (Männer, Frauen, Alten und Jungen) im Video sagen lassen, und zwar in der Formulierung „Thomas ist intellektuell zu langsam für viele berufliche Anforderungen“.
Wirkung der Videos auf die Abschwächung reflektieren
Bei jeder virtuellen Person habe ich ihn gefragt, wie sehr er dieser Aussage glaubt und wie das Gefühl dazu ist. Es war schon bei der ersten Person nur bei 5 und nach einigen Versuchen haben wir eine gefunden, bei der der Glaube bei 2 lag und sich im Körper kaum bemerkbar machte.
Dieses Video habe ich ihm zugeschickt und er schaute es zu Hause mehrmals an. Bei der nächsten Sitzung sagte er, dass dieser Belief praktisch weg ist und er ihm mittlerweile geradezu lächerlich vorkommt.
Warum dies wirkt
Der Effekt liegt m.E. in der Dissoziierung aufgrund von Externalisierung. Dazu kommt eine emotionale Neubewertung, wenn eine Kunstfigur den inneren Glaubenssatz laut und als Behauptung ausspricht. Das streut Zweifel!
Damit war der Weg frei, an seinem Ziel arbeiten zu können, nämlich bestimmte Anforderungen schneller und leichter zu bewältigen.
Ich konnte etwas später ein ganz ähnliches Vorgehen auch bei einer jugendlichen Schülerin ausprobieren und beobachtete einen sehr ähnlichen Effekt.
dieses Video hat Coachee ausgewählt
jung und Dialekt - das war ein Experiment
Mit ChatGPT berühmte Personen Beliefs kommentieren lassen
Bleiben wir bei Thomas, denn wir konnten eine weitere Variante ausprobieren. Wir haben 5 unterschiedliche berühmte Personen ins Coaching eingeladen, damit sie ihren Kommentar zu dem Glaubenssatz abgeben.
Ziel war, dass Thomas neue Ideen für das Denken erhält, also unterstützende Glaubenssätze aufbauen kann.
Mein Coachee wählte als VIPs: Thomas Müller (Fußballer), Harry Potter, Goethe, Thomas Gottschalk und Stefan Raab. Hier sind deren Antworten auf die Frage (den Prompt): „Du bist der XY: wie kommentierst du in einem Satz meinen lästigen Glaubenssatz: „ich bin intellektuell zu langsam um berufliche Anforderungen zu meistern"?“
Antwort von …
Thomas Müller: "Ich denke, dass jeder seine eigenen Stärken hat, und es ist wichtig, an sich selbst zu glauben und hart zu arbeiten, um berufliche Herausforderungen zu meistern."
Harry Potter: "Es ist nicht wichtig, wie schnell du denkst, sondern wie du deine Fähigkeiten einsetzt, um die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen und deine Ziele zu erreichen."
Goethe: "Die Intelligenz eines Menschen offenbart sich nicht darin, wie schnell er denkt, sondern in der Tiefe und Qualität seiner Gedanken sowie in seiner Fähigkeit, Wissen und Erfahrung zu nutzen, um berufliche Anforderungen zu meistern."
Thomas Gottschalk: "Das Leben ist wie eine bunte Show, und manchmal braucht man Zeit, um die passende Rolle zu finden und in seiner eigenen Geschwindigkeit zu glänzen. Glaube an dich selbst und nimm dir die Zeit, die du brauchst, um berufliche Herausforderungen zu meistern!"
Stefan Raab: "Nicht die Geschwindigkeit zählt, sondern der Mut, etwas Neues anzupacken und sich nicht von Zweifeln bremsen zu lassen. Man kann alles schaffen, wenn man sich selbst vertraut und hart arbeitet, um berufliche Anforderungen zu meistern."
Wir schauten uns die Antworten an und ich beobachtete Thomas. Wo läßt sich eine emotionale Reaktion beobachten? Was ist der Grund für die Reaktion? Welche der Antworten helfen ihm, den Glaubenssatz loslassen zu können und neue zu entwickeln?
Thomas fand interessanterweise sofort Harry Potters Aussage entlastend, dabei ist er von ihm eigentlich gar kein Fan. Er hat ihn nur in der VIP Auswahl aufgenommen, weil ich ihm sagte, dass er auch Kunstfiguren wählen kann und ihm auf die Schnelle niemand anderes einfiel.
Thomas Begründung: dieser Satz von Harry löste sofort eine Resonanz aus und er fühlte direkt Zuversicht und auch ein bisschen Trotz. Dieser Gedanke wurde nun sein neuer innerer Leitsatz.
Hier liegt die Wirkung m.E. ebenfalls in der Dissoziierung über Metapositionen und dem Erspüren von neuen Möglichkeiten im Denken durch andere Perspektiven.
Was schlägt ChatGPT zur Auflösung von Beliefs vor?
Für diese dritte Variante hatten wir zwar keine Zeit mehr, aber ich finde sie trotzdem erwähnenswert.
Mein Prompt war: „ich bin 35 Jahre alt und seit 3 Jahren in einem IT Unternehmen beschäftigt. Während meine Kollegen immer sehr schnell begreifen was gefordert ist, brauche ich deutlich länger um den Auftrag zu verstehen und dann die beste Lösung zu finden. Mittlerweile habe ich den Glaubenssatz „ich bin intellektuell zu langsam für bestimmte berufliche Anforderungen“ fest in mir verankert. Ich möchte ihn gerne loswerden. Bitte schlage mir 3 Möglichkeiten vor.“
Hier ist das Ergebnis von ChatGPT:
"Natürlich, hier sind drei Möglichkeiten, wie du an deinem Glaubenssatz arbeiten kannst:
1. **Selbstreflexion und Selbstakzeptanz:** Reflektiere darüber, wie dieser Glaubenssatz entstanden ist und inwieweit er deine Sicht auf dich selbst und deine Fähigkeiten beeinflusst hat. Akzeptiere, dass jeder Mensch unterschiedliche Stärken und Schwächen hat, und dass es völlig normal ist, unterschiedlich schnell zu lernen und Aufgaben zu bewältigen. Akzeptanz ist der erste Schritt zur Veränderung.
2. **Positive Affirmationen und Selbstgespräche:** Ersetze negative Glaubenssätze durch positive Affirmationen. Formuliere Sätze, die deine Selbstsicherheit stärken, wie zum Beispiel: "Ich lerne in meinem eigenen Tempo und bin in der Lage, berufliche Anforderungen zu meistern", oder "Meine Fähigkeiten und Erfahrungen sind wertvoll." Wiederhole diese Affirmationen regelmäßig, um deine Denkweise positiv zu beeinflussen.
3. **Weiterbildung und Unterstützung:** Investiere Zeit und Energie in deine berufliche Weiterbildung. Wenn du das Gefühl hast, dass es in bestimmten Bereichen Verbesserungsbedarf gibt, dann suche nach Schulungen, Kursen oder Mentoren, die dir dabei helfen können, dein Fachwissen und deine Fähigkeiten zu erweitern. Die Unterstützung von Kollegen, Vorgesetzten oder Freunden kann ebenfalls sehr hilfreich sein, um dein Selbstvertrauen zu stärken und den Glaubenssatz zu überwinden.
Arbeite kontinuierlich an deinem Selbstwertgefühl und deiner Selbstakzeptanz, während du dich auf deine persönliche und berufliche Entwicklung konzentrierst. Glaubenssätze können mit der Zeit verändert werden, wenn du aktiv daran arbeitest, deine Denkmuster zu ändern."
Meine Beurteilung / Bewertung aus Coach-Sicht:
Durch die Coach-Brille betrachtet finde ich alle drei Vorschläge sinnvoll und hilfreich.
Für Vorschlag 1 braucht der Coachee einen Coach an der Seite: für die Suche nach der Entstehung und um Akzeptanz zu lernen. Es sind wunderbare Coachingziele.
Bei 2 sehe ich schon sehr gute und konkrete Umsetzungsvorschläge, z.B. als Transferaufgabe für zu Hause.
Bei 3 bin ich mir nicht ganz sicher: einerseits könnte dadurch genau der Belief festzementiert werden (ich brauche also doch irgendwie Nachhilfe) oder der Vorschlag öffnet einen Veränderungsraum. Hier sehe ich eine große Chance, dass der Vorschlag von ChatGPT und nicht von mir kommt. So können wir ganz neutral die Reaktion checken.
Fazit: KI bietet tolle methodische Ergänzungen
Vor allem die ersten beiden Methoden wären ohne KI nicht möglich und sind für mich eine echte Bereicherung. Ich habe sie in den LC-Koffer aufgenommen und kann sie schnell und flexibel in Varianten anwenden.
Die dritte Möglichkeit sehe ich nicht nur als Ideen-Lieferung für mich als Coach, sondern auch als ein Vorgehen im Coaching selbst für die Frage: Welchen ChatGPT Vorschlag findet mein Coachee eine gute Idee und möchte ihn ausprobieren? Dies gibt ihr/ ihm die Kontrolle über den Prozess.
Zudem kam mir hier die Idee, ChatGPT als Art Coach-Narr zu nutzen, der Sachen sagen und vorschlagen darf, die ich nur mit Bedacht ins Spiel bringen würde.
Folgende Artikel sind bereits in der Mini-Serie erschienen:
Ziele klar geprompt
👉 Interesse an einer Lerncoach-Ausbildung im offenen Programm oder inhouse? KI Nutzung ist mittlerweile Bestandteil in beiden Ausbildungsvarianten.
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