Wir alle wissen: Jeder Lernstoff braucht unterschiedliche Lernmethoden. So kann Faktenlernen wunderbar mit Mnemotechniken unterstützt werden, um ein tiefes Verständnis eines Themas zu erlangen, braucht es jedoch etwas anderes: zum Beispiel die Sokratische Methode.
Diese Vorgehensweise schätze ich nicht nur als Lernstrategie, sondern auch aus der Überzeugung heraus, dass in Zeiten mit schnellen Lösungen und oberflächlichen Bewertungen, dem Tiefgang mehr Raum gegeben werden darf.
Weil der Ansatz so spannend ist, habe ich gleich eine kleine Blog-Reihe draus gemacht, in deren Zentrum das Sokratische Fragen steht. In diesem Artikel geht es um die Umsetzung als "Lernstrategie", im nächsten um „Sokratisches Prompten“ und im dritten um „die Sokratische Methode in der Learning Facilitation“.
Widmen wir uns zunächst dem ersten Aspekt: wie kann das sokratische Fragen in einen Lernprozess integriert werden?
Was ist sokratisches Fragen?
Das sokratische Fragen ist eine Methode, bei der durch gezielte Fragestellungen das Verständnis für ein Thema vertieft wird. Schon im antiken Griechenland nutzte Sokrates diese Technik, um seine Gesprächspartner dazu zu bringen, ihre eigenen Überzeugungen kritisch zu hinterfragen.
Der Clou dabei: Statt einfach Wissen zu übernehmen, wird durch spezielle Fragen ein Thema, ein Lernstoff oder ein Konzept umfassend kennen gelernt. Diese Methode fördert also die Fähigkeit, wirklich zu verstehen.
So wendest Du sokratisches Fragen in der Praxis an
Es gibt im Grunde immer die gleichen 6 Fragen, unabhängig vom Thema. Ich habe die “Psychologische Sicherheit beim Lernen” als Beispiel gewählt, denn das Sokratische Fragen kann hier wunderbar genutzt werden.
1. Klärungsfragen stellen:
Bevor Du tiefer in das Thema eintauchst, klärst Du die grundlegenden Begriffe. Du könntest Fragen stellen wie: „Was genau versteht man unter psychologischer Sicherheit beim Lernen?“ , „Wie unterscheidet sich psychologische Sicherheit von anderen Formen der Sicherheit, wie z.B. physischer Sicherheit?“
Diese Fragen helfen, die Grundlagen des Konzepts zu verstehen, indem Du Bücher oder Artikel liest oder Podcasts hörst, oder Expert:innen dazu befragst. Du fasst das Gelernte zusammen in Kernaussagen und Annahmen. Das klassische Lernen eben. Das ist die Basis, jetzt kommt der Tiefgang.
2. Annahmen hinterfragen:
Als erstes werden die zugrunde liegenden Annahmen geprüft bzw. verstanden. Zum Beispiel:
„Warum wird angenommen, dass psychologische Sicherheit das Lernen fördert?“, „Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sich psychologische Sicherheit tatsächlich positiv auf Lernprozesse auswirkt?“
Durch diese Fragen hinterfragt man auch populäre Überzeugungen, hier: dass psychologische Sicherheit immer von Vorteil ist. Das finde ich immer sehr spannend.
3. Begründungen hinterfragen:
Jetzt geht man der Frage nach, warum bestimmte Behauptungen gemacht werden. Zum Beispiel: „Welche wissenschaftlichen Studien stützen die These, dass psychologische Sicherheit zu besseren Lernergebnissen führt?“ , „Welche Mechanismen stehen dahinter, dass sich Menschen in einem Umfeld psychologischer Sicherheit offener äußern und besser lernen?“.
Indem die Begründungen hinterfragt werden, geht man wieder einen Schritt weiter in die Tiefe. Die Qualität der Argumente kann jetzt besser beurteilt werden. Oft ist dies mit zusätzlicher Recherche bzw. Quellenprüfung verbunden.
4. Verschiedene Perspektiven berücksichtigen:
Um das Thema noch umfassender zu verstehen, werden nun verschiedene Perspektiven eingekommen. Fragen könnten sein: „Wie erleben unterschiedliche Menschen, z.B. introvertierte vs. extrovertierte Lernende, psychologische Sicherheit?“ , „Wie wird psychologische Sicherheit in verschiedenen Kulturen oder Arbeitsumfeldern definiert und erlebt?“, "Was sagt ein hierarchisch denkender Mensch dazu?".
Durch solche Fragen tritt man aus dem Inneren heraus und findet durch den Blick von außen womöglich ganz neue Aspekte. Gerade beim Perspektivenwechsel lasse ich mir oft von ChatGPT helfen.
5. Konsequenzen durchdenken:
Jetzt geht es um mögliche Auswirkungen. Zum Beispiel: „Was passiert, wenn in einer Lerngruppe keine psychologische Sicherheit vorhanden ist?“, „Wie könnten sich langfristig die Lern- und Leistungsergebnisse verändern, wenn psychologische Sicherheit kontinuierlich gefördert wird?“, "Welche Auswirkung hätte es, wenn wir es nicht tun?".
Durch das Nachdenken über die Konsequenzen, auch durch unbequeme Fragen, kann die Praxis ins Denken geholt werden. Diesen Schritt könnte man mit dem Perspektiven-Wechsel verbinden: "Welche Konsequenz würde XY sehen?"
6. Übergeordnete Ziele hinterfragen:
Schließlich werden Fragen gestellt, um ein übergeordnetes Ziel zu beleuchten, hier: was ist der höhere Zweck der psychologischen Sicherheit: „Welches Ziel verfolgt die Förderung von psychologischer Sicherheit in Bildungseinrichtungen oder Unternehmen?“, „Welche Werte und Ideale stehen hinter der Betonung von psychologischer Sicherheit beim Lernen?“
So rückt das Konzept in einen größeren Zusammenhang und liefert Erkenntnisse für seine Bedeutung über die konkrete Anwendung hinaus.
Anmerkung: das übergeordnete Ziel des Sokratischen Fragens ist nicht eine neue Lernmethode zu kennen, sondern die Förderung des kritischen Denkens überall dort, wo Lösungen und Antworten von anderen kommen.
Fazit - Lernen mit echtem Tiefgang
Für mich liegt der Wert darin, wirklich tief in ein Thema einzutauchen und durch das gezielte Hinterfragen von Annahmen, populären Meinungen und durch das Einnehmen verschiedener Perspektiven ein eigenes, fundiertes Verständnis zu erlangen. Dies wiederum hilft für den flexiblen Praxistransfer.
Zudem kommt man schnell vom weg vom passiven Lernen und hin zu einem aktiven, reflektierten und nachhaltigen.
Und das Beste: es ist eine tolle Möglichkeit, sich auch in einem Lernteam einem Thema anzunähern. Vielleicht sogar in Verbindung mit einem AATOL?
👉🏼 Zum Artikel "Sokratisches Prompten".
👉🏼 Zum Artikel "Sokratische Methode in der Learning Facilitation" (erscheint demnächst.
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