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Sokratische Methode in der Learning Facilitation

  

Stelle dir vor, du sollst einen Workshop halten, erfährst das Thema jedoch erst morgens am Veranstaltungstag und hast vom Inhalt keine Ahnung. 

 

Horrorvorstellung - ja, wenn man in seiner üblichen Trainer:innen-Rolle bleibt. Nein, wenn man in die Rolle des Learning Facilitators schlüpfen kann. Hier erfährst du, wie ich den Workshop vorbereitet und moderiert habe. 

 

Dieser Artikel ist der 3. und letzte aus der Sokratischen Trilogie.

Voraussetzung: ich komme nicht als Trainerin oder Moderatorin, sondern als Learning Facilitatorin


Als die o.g. Anfrage kam, hielt ich sie zunächst für einen Witz. Zwar moderiere ich durchaus immer wieder Team-Workshops, wo es nicht um Inhalte geht, sondern um Zusammenarbeit im weitesten Sinne. 

 

Hier war die Ausgangssituation eine Teamtagung über zwei Tage, und am ersten Tag wurde das Seminar Thema für den zweiten Tag festgelegt - es sollten neue Inhalte sein, auf die Teilnehmenden Lust hatten. 

 

Das war schon besonders für mich und natürlich stellte sich die Frage: wie kann ich ein Seminar als Trainerin (in dieser Rolle wollten sie mich haben) leiten, für dessen Inhalt ich keine Expertin bin? 

 

Nach der Rollenklärung weg von der Trainerin, hin zur Learning Facilitatorin entwickelte ich eine Struktur, die mir die Durchführung ermöglichte ohne die Inhalte im Vorfeld zu kennen - Sokrates sei Dank!

Sokrates lieferte die Workshop Struktur


 Bei meiner Recherche stieß ich auf die Sokratische Methode und beschloss, diese als Struktur zugrunde zu legen. Die Gruppe von 15 Teilnehmenden wollten mehr über das Thema Burnout Prävention erfahren.

 

Und so lief der Tag ab:

 

Teil 1: Thema "schneiden" und Lernziele entwickeln

Um das komplexe und sehr weitläufige Thema "Burnout Prävention" tauglich für einen Tag zu machen, spezifizierten es die Teilnehmenden indem sie verschiedene Aspekte sammelten und priorisierten.

 

Konsens entstand zu dem Teil-Thema: "Burnout Symptome bei Kolleg:innen frühzeitig erkennen, diese ansprechen und dabei unterstützen können, sich Hilfe zu suchen". Bis wir ein gut handhabbares Workshop-Ziel gefunden hatten, brauchten wir eine knappe Stunde. Hier war ich relativ aktiv in der Moderation.

 

Teil 2: Recherchieren, aufbereiten und teilen

In kleinen Teams wurden zunächst einige Facetten gesammelt und dann fünf kleine Gruppen gebildet, die jeweils für eine Facette die Verantwortung übernahmen. Das bedeutete, dass sie tiefer in das Teilthema einstiegen und der Gruppe einen ersten Überblick gaben, mit einer Präsentationsdauer von max. 10min. Insgesamt nahm dieser Teil 2 Stunden ein. 

 

Teil 3: Hinterfragen und Prüfen

Gerade weil niemand von uns Expert:in für das Thema war, maßen wir diesem Schritt eine große Bedeutung bei. Wir hinterfragten mit den Sokratischen Fragen die Annahmen und recherchierten Quellen, bis wir das Gefühl hatten, dass das, was wir neu gelernt hatten, Hand und Fuß hatte.

 

Als TimeBox veranschlagten wir 45min - dank ChatGPT und perplexity funktionierte der Check mit Originalquellen erstaunlich gut. 

 

Teil 4: Konsequenzen erarbeiten

Gemeinsam beschlossen wir, dass für diesen Teil viel Zeit investiert wird. Das Ergebnis sollte konkret sein und auch in Rollenspielen geübt werden können. Letztlich waren es fast 2 Stunden, die sich absolut lohnten.

 

Es wurden Fragen formuliert, die konkret und kollaborativ beantwortet wurden. Was bedeutet das neue Wissen in der Praxis? Was können wir tun? Wie handeln wir in Zukunft anders, besser? Welche Schritte definieren wir, um betroffene Kolleg:innen anzusprechen und hin zum Weg zu professioneller Unterstützung zu begleiten? Wen können wir ins Boot holen, der bereits Erfahrungen hat und berät?

 

Teil 5: Übergeordnete Ziele formulieren

Von welcher Vision, Haltung, Mission ist das neue Wissen und sind diese neu erworbenen Fähigkeiten ein Teil? Inwiefern trägt es die Organisation? Wo gibt es Widersprüche? Hier lief uns ein bisschen die Zeit davon, gerade einmal 20min blieben dafür. 

 

Am Ende des langen Tages waren wir alle müde, aber sehr sehr bereichert: vom Inhalt, weil wirklich ganz konkrete Vorgehensweisen herauskamen. Aber noch viel mehr von dem Miteinander, das alle sehr beeindruckte. 

Fazit: auch mit Null-Ahnung kann ein tolles Training herauskommen


Für mich war das ein echtes Erlebnis in vielerlei Hinsicht.

 

Meine erste Hilflosigkeit und Skepsis verwandelte sich bei der Vorbereitung zunehmend in Zuversicht und Vorfreude. Die Sokratische Struktur schien mir so hilfreich und gut umsetzbar, dass ich schnell überzeugt war: das wird gut! 

 

Zunächst musste ich mich dennoch erst mit der Rolle der Nicht-Wissenden anfreunden. Sobald mir dies gelang, genoss ich es sehr.

 

Ich war beeindruckt, wie ein guter Rahmen zu einem inhaltlich wirklich hochwertigen Ergebnis führte. 

 

Berührt hat mich, dass das Zusammenarbeiten und gemeinsame Erschaffen eine ganz besondere Atmosphäre produzierte. Abends gingen wir ganz beseelt auseinander. 

 

Gerne jederzeit wieder :-)


👉🏼 Zum Artikel 1 "Sokratisches Fragen als Lernstrategie".

   

👉🏼 Zum Artikel 2 "Sokratisches Prompten".


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Kommentare: 3
  • #1

    Eva Hörtrich (Sonntag, 27 Oktober 2024 11:28)

    Liebe Iris, das klingt total spannend und nach einem guten Schritt hinein ins Unbekannte ;)
    War es eine Online-Teamtagung? Oder - falls Präsenz - wurde die Quellen-Recherche per Handy gemacht? Ist für den Teil "Hinterfragen und Prüfen" die (Online-) Recherche zwingend nötig? Es kommt sicher aufs Thema an, aber es klingt nach einer wichtigen Basis, um danach die Ausarbeitung fundiert machen zu können.
    Vielleicht machst du ja mal eine Lernpraline dazu, in der man das ein bisschen ausprobieren kann ;)
    Danke für den Beitrag!
    LG Eva

  • #2

    Iris (Sonntag, 27 Oktober 2024 13:41)

    @Eva: es war in Präsenz und es waren einige mit NoteBooks dabei (das hatte ich vorab gesagt, dass sie es machen sollen).

    Wir hatten das Prüfen so gemacht, dass Gruppe 1 dazu recherchiert und kurz aufbereitet hat und Gruppe 2 hat dann das Prüfen übernommen usw. Das war tatsächlich nochmal sehr wichtig für die Validierung / Tiefgang.

    Gute Idee mit der Praline :-)

  • #3

    Susanne Apitzsch-Gacia (Samstag, 02 November 2024 19:46)

    Diese Struktur finde ich sehr interessant. Es führt noch mehr in die Selbstständigkeit beim Lernen und zeigt, dass im Grunde Selbststeuerung beim Lernen auch in Gruppen sehr gut möglich ist, wenn ein guter Rahmen gegeben wird. Wie schön, dass wir in einer Zeit leben, wo mehr und mehr Offenheit für derartige Prozesse entsteht!
    Danke, Iris, für diesen wertvollen Input! Super, dass das Team, mit dem Du gearbeitet hast, so offen ist/war!