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Coachee Personas erstellen - hilfreich oder ein Widerspruch in sich?

Christel war die erste Persona, die ich kennenlernte*
Christel war die erste Persona, die ich kennenlernte*

 

Christel ist 9 Jahre alt, steht in der Werkstatt, in der ihr Vater arbeitet, und ist wütend. Ihr Kumpel Toni hat ihr gerade eröffnet, dass er bald weniger Zeit hat mit ihr zu spielen, weil er im nächsten Schuljahr jeden Tag mit dem Bus zum Gymnasium fährt, was richtig Zeit kostet. Christel jedoch wird hier im Dorf zur Hauptschule gehen. Sie findet das total ungerecht.

  

Christel war, ohne dass ich es wusste, meine erste Persona. Sie entstand vor fast 35 Jahren wie von alleine im ersten Semester meines Soziologie-Studium. „Das katholische Arbeiter-Mädchen vom Lande“ war damals der Inbegriff der Ungleichheit von Bildungschancen - und sofort tauchte diese Christel vor meinem inneren Auge auf. Sie gab den statistischen Befunden eine konkrete Gestalt. 

Personas lassen Abstraktes konkret werden


Genau das ist das Ziel von Personas: aus Zahlen werden (fiktive) Menschen, die den Statistiken ein Gesicht und eine Persönlichkeit verleihen. In der Praxis bilden statt groß angelegte sozialwissenschaftliche oder marktanalysierende Forschungen meist Einzelgespräche oder Erfahrungswerte die Grundlage.
  
Personas werden schon lange im Verkauf und im Marketing erstellt, und zwar aus den Gemeinsamkeiten und Überschneidungen bei der Zielgruppenanalyse. Namen, Alltag, Befindlichkeiten, Hobbies etc. sorgen dafür, dass wir uns in die Menschen hinter den Zahlen besser hineinversetzen können. So wie eben in die kleine Christel.
   
Das gleiche Prinzip funktioniert bei den Learner Personas: Lerndesigns, Trainingskonzepte, Seminare und Workshops werden so noch besser an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst und sind längst Standard geworden.
   
Ein und dieselben Inhalte werden anders umgesetzt und die Teilnehmenden anders angesprochen: wenn meine Learner Persona eine oft gestresste voll im Berufsleben stehende Frau mit kleinen Kindern ist, braucht sie etwas anderes als eine ehrgeizige sich gerade im Übergang zwischen Ausbildung und Beruf stehende junge Frau. Das ist klar.
  
Doch wie sieht das Ganze im Coaching aus? Ist es dort überhaupt möglich? Oder gar ein Widerspruch in sich?

Können Coachee Personas erstellt werden?


Auf den ersten Blick könnte man sagen, ja klar, warum nicht? Auf den zweiten wird es schon etwas differenzierter. Es lohnt sich, das genauer zu betrachten:

 

👎 Coaching ist zu individuell für Personas

Das Wesen von Coaching ist, dass wir Coaches uns völlig unvoreingenommen ganz individuell auf jeden einzelnen Coachee einlassen. Was für Person x super funktioniert, kann für Person Y gar nichts sein. Von dieser Individualität lassen wir uns leiten und macht die Qualität von Coaching aus. Das Erstellen einer Coachee Persona würde dieser Grundhaltung widersprechen. 

 

👎 Coachee brauchen Unvoreingenommenheit

Eine Persona entsteht immer aus zugrunde liegendem Datenmaterial (sei es aus Forschung oder aus Erfahrungswerten). In einer offenen Coaching-Praxis weiß ich meist sehr wenig über die Person, die zu mir kommt. Und das ist gut so. Das weiße Blatt zum Coachee soll erst im Coaching Linien, Konturen und Farben annehmen.


👆 Im Coaching sind Personas oft zu "Typen"

Je länger man als Coach arbeitet, desto häufiger erlebt man bestimmte Typen als Coachees: die skeptischen, die Verantwortung übertragenden, die sofort euphorischen, die zuversichtlichen, die perfektionistischen, die mitarbeitenden, die konsumierenden ... usw.

 

Die Kunst im Coaching ist, diese "Typen" zwar als ersten Kompass für die Wahl der Worte, der Methoden und des Settings zuzulassen und zugleich so offen zu sein, dass man auch einen völlig anderen Coaching-Weg einschlägt, wenn es die Situation erfordert.

 

👍 In Unternehmen sind Coachee Personas hilfreich

Richtig hilfreich finde ich das Erstellen von Coachee Personas im Firmen-Kontext. Hier kann ich v.a. aus Lerncoaching-Sicht sprechen: in dem einen Unternehmen sind die Coachees oft Menschen, die viele negative Lernerfahrungen machen mussten und daher jede Veränderung wie eine Blockade wirkt. 

 

Im anderen Unternehmen wird das Lerncoaching v.a. für Lernbegeisterte angeboten, die ihr Lernen reflektieren und verbessern wollen. 

 

Und in wieder einem anderen ist es eine Mischung aus beidem, d.h. hier entstehen mindestens zwei Coachee Personas. 

Was jetzt? Coachee Personas ja oder nein?


Ich persönlich erstelle für das offene Coaching keine Personas. Ich habe zwar ganz automatisch ein paar Typen im Kopf, jedoch mache ich mir diese v.a. deswegen immer wieder bewusst, um mich im Tun dann besser davon lösen zu können. 

 

Im Unternehmens- oder Ausbildungskontext, v.a. wenn ich Coaches ausbilde, habe ich dagegen sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie fördern das Verständnis für die Bedürfnisse und Anliegen der Coachees, machen die Coaches sicherer und beeinflussen die Art des Coachings positiv. 

 

Fazit für mich: hier gibt es kein ja oder nein, sondern ist sehr kontext-abhängig. 

 

Wie ist das bei dir? Arbeitest du mit Coachee Personas?

Willst du mehr darüber lernen?


👉 In der offenen Lerncoach-Ausbildung gibt es ein Corporate Learning Coaching Modul, in dem das Erstellen von Coachee Personas dazu gehört.  

 

👉 In einer KI-Praline lassen wir uns durch KI helfen, Personas zu erstellen und Lernangebote zu individualisieren. 

 

👉 In unserer Trainer:innen-Ausbildung vermitteln wir Schritt für Schritt das Erstellen von Learner Personas als grundlegendes Handwerkszeug - dabei ist das Graves-Modell ein wichtiges Grundlagen-Konzept.



* das Bild wurde ressourcenschonend lokal generiert.

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